Der Deutsche Hochschulverband (DHV) hat die Offenheit wissenschaftlicher Organisationsstrukturen betont und davor gewarnt, auf Standardisierungen zu drängen. „Es muss im Rahmen der grundgesetzlich geschützten Wissenschaftsfreiheit vornehmlich die Aufgabe der Universität selbst bleiben, über eine ihr angemessene und den Belangen von Forschung, Lehre und medizinischer Versorgung am besten dienende Organisation zu entscheiden. Modelle der Organisation von Wissenschaft dürfen in diesem Sinne keinen Selbstzweck verfolgen, sondern stehen ausschließlich im Dienste bestmöglicher Forschung und Lehre einschließlich deren fortwährender Weiterentwicklung“, betonte DHV-Präsident Professor Dr. Dr. h.c. Lambert T. Koch anlässlich des 74. DHV-Tags in Berlin.
Wissenschaft funktioniere nicht „Top Down“, sondern nach dem Gegenstromprinzip: Streng hierarchische Organisationsstrukturen, die sich an ökonomischen Modellen ausrichteten, seien wissenschaftsinadäquat, weil sie für kreative Forschungsprozesse hinderlich seien. „Es bedarf mithin einer Leitungskultur, in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf allen Ebenen angemessen und umfassend in Entscheidungsfindungen eingebunden werden. Nur mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und nicht über ihre Köpfe hinweg werden unsere Universitäten im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen und ihre Stärken entfalten können“, erklärte Koch.
Größtmögliche Freiheit und Unabhängigkeit wünschten sich verständlicher Weise auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bereits in frühen Karrierephasen. Die Frage, ob sich das deutsche Wissenschaftssystem verstärkt gegenüber den in anderen Wissenschaftssystemen üblichen Department-Strukturen, in denen es weniger formale Hierarchien gibt, öffnen solle, müsse vor diesem Hintergrund ergebnisoffen diskutiert werden. Genauso sei der Einwand, dass Lehrstühle einen internationalen Wettbewerbsvorteil böten, weil sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf ihre Weise Freiheit und Unabhängigkeit garantierten, bedenkenswert. „Je nach Fach, Standort und Führungskultur können Antworten unterschiedlich ausfallen“, hob der DHV-Präsident hervor. „Das gilt es ernst zu nehmen: Was in den Sozial- und Geisteswissenschaften sinnvoll sein kann, wird in den drittmittelaffinen Ingenieurwissenschaften oder der Medizin möglicherweise weniger Anklang finden. Was in Berlin oder München funktioniert, muss nicht zu jedem anderen Standort passen.“
Auch für wissenschaftliche Qualifikationswege gebe es keine Pauschallösungen. Wer jedoch Menschen – auch vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels – für wissenschaftliche Karrieren gewinnen und begeistern wolle, müsse ihnen zugleich rechtzeitig verlässliche Perspektiven bieten. Vor allem Tenure-Track-Modelle für Stellen auf oder unterhalb einer Professur (Lecturer/Reader) seien geeignet, diesen Anspruch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erfüllen, weil mit ihnen nach einer positiv evaluierten Bewährungsphase die Übernahme auf eine Lebenszeitstelle verbunden ist. „In welchem Ausmaß Tenure-Track-Modelle nachhaltig erfolgreich implementiert werden, hängt allerdings zum ei-nen von einer verlässlichen und weiter auszubauenden Finanzierung durch Bund und Länder ab, zum anderen von den Wünschen und Erfordernissen der einzelnen Fächerkulturen“, betonte Koch. „Ob und inwieweit weiterhin auch die Habilitation einer von mehreren Wegen hin zur Universitätsprofessur ist, wird fächerübergreifend ebenfalls nicht einheitlich zu entscheiden sein.“
Wissenschaft bleibt dem DHV-Präsidenten zufolge über alle Disziplinen hinweg geeint durch die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis. Die Vielfalt, die sie ansonsten bei der Themenfindung, Methodenwahl und Debattenkultur präge und dann auch in der Vernetzung, Alltagsorganisation oder bei den Karrierewegen zum Ausdruck komme, sei keine Schwäche, sondern ihre Stärke.