Positionspapier des Deutschen Hochschulverbandes zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
Bonn, den 18. September 2000
1. Der Deutsche Hochschulverband sieht mit großer Sorge, dass sich immer häufiger die besten Nachwuchswissenschaftler gegen den Beruf des Universitätsprofessors entscheiden. Die Abwanderung von Spitzenkräften ins Ausland oder in den außeruniversitären Markt ist ein immenser Schaden für die deutsche Wissenschaft. Die deutschen Universitäten werden ihre Wettbewerbsfähigkeit international nur behaupten können, wenn es ihnen gelingt, die besten Köpfe dauerhaft für die Universität zu gewinnen. Der Gesetzgeber ist gefordert, die Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs so zu gestalten, dass der Arbeitsplatz Universität attraktiv ist.
Die dazu von der vom BMBF eingesetzten Expertenkommission veröffentlichten Vorschläge zur Neugestaltung des Qualifikationsweges für Hochschullehrer, insbesondere durch Einführung einer "Juniorprofessur", sind nach der Überzeugung des Deutschen Hochschulverbandes weitgehend untauglich, die angestrebten Ziele zu erreichen, da sie der Vielgestaltigkeit der verschiedenen Fächer nicht gerecht werden.
2. Die Kritikpunkte im Einzelnen:
Das von der Expertenkommission vorgeschlagene Modell der flächendeckenden Einführung von "Juniorprofessuren" mit eigener Ausstattung ist unter der Vorgabe der Kostenneutralität nicht finanzierbar. Von Bund und Ländern müßten zusätzliche Mittel in erheblichem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass schon heute einem großen Teil der Universitätsprofessoren, insbesondere der Besoldungsgruppe C3, eine eigene Ausstattung fehlt. Mancherorts reicht die vorhandene Ausstattung nicht einmal zur Anschaffung einfachster technischer Hilfsmittel (Computer u.ä.) aus.
Unter der Vorgabe der Kostenneutralität bringt die empfohlene Einführung von "Juniorprofessuren" den seit über zwanzig Jahren personell völlig unterfinanzierten Hochschulen keine einzige Stelle mehr. Die neu einzurichtenden Stellen für "Juniorprofessoren" werden im Gegenteil zu Lasten der vorhandenen Professorenstellen, des akademischen Mittelbaus, vor allem aber zu Lasten der in der Praxis bewährten C1-Stellen (Wissenschaftliche Assistenten) für den wissenschaftlichen Nachwuchs gehen. Die "Juniorprofessur" kostet die vollständig überlasteten Universitäten Stellen. Das ist kontraproduktiv.
Die Expertenkommission hat außer Acht gelassen, dass die Ausgestaltung des Qualifikationsweges für Hochschullehrer nach Maßgabe der Fächerkulturen unterschiedlich ist und sein muss. In manchen Fächern, wie den Ingenieurwissenschaften, ist die Habilitation als wissenschaftlicher Qualifikationsnachweis noch nie maßgeblich gewesen. In den Geisteswissenschaften ist sie demgegenüber ein verlässliches und bewährtes Verfahren. Diese Kulturen benötigen flexible Angebote. Sie entziehen sich der von der Expertenkommission vorgeschlagenen Einheitslösung "Juniorprofessur statt Habilitation".
Die Expertenkommission ignoriert die Ursachen für das hohe Erstberufungsalter von Professoren und empfiehlt daher die falsche Therapie. Als der Grund für das hohe Erstberufungsalter wird einseitig die Habilitation und die Dauer der Habilitation ausgemacht. Das verkennt, dass der Berufsweg zum Hochschullehrer mit Schule und Studium beginnt. Die Qualifikationsphase zum Universitätslehrer steht am Ende einer Wirkungskette: zu hohes Alter der Abiturienten, zu hohes Alter der Erstsemester, zu hohes Alter der Doktoranden. Die Kommission verfährt nach dem Motto "Den Letzten beißen die Hunde"!
Die von der Expertenkommission empfohlene "Juniorprofessur" ist der Versuch, ein in der Vergangenheit bereits gescheitertes Modell ("Assistenzprofessur") zu reanimieren. Die Kommission verschließt die Augen vor der Tatsache, dass sich die Assistenzprofessur als völlig untauglich erwiesen hat und daher zu Recht 1985 abgeschafft worden ist. Sie setzt sich nicht mit den Gründen für ihr damaliges Scheitern auseinander. Ohne diese Analyse lohnt aber kein zweiter Anlauf.
Die geplante "Juniorprofessur" eröffnet in verstärktem Umfang die Möglichkeit von Hausberufungen. Dies bedeutet für den Beruf des Universitätslehrers die schleichende Ersetzung eines funktionierenden Wettbewerbssystems durch ein Laufbahnmodell. Damit wird der geforderte Wettbewerb und die Mobilität der Hochschullehrer erheblich gehemmt statt gefördert. Dieser Wertungswiderspruch wird von der Expertenkommission nicht erkannt und aufgeklärt.
Die "Juniorprofessur" wird den oft geforderten und zu begrüßenden Wissenstransfer zwischen Universität und Praxis und umgekehrt nicht fördern, sondern hemmen. Besonders in den technischen Fächern würde die "Verlaufbahnung" des "Juniorprofessors" de facto dazu führen, dass die Berufung hervorragender externer Fachleute in ihrer Bedeutung zurückgedrängt wird.
Das Modell der "Juniorprofessur" wird dem wissenschaftlichen Nachwuchs nicht die notwendige Zeit lassen, um die für den zukünftigen Beruf als Hochschullehrer wesentlichen Qualifikationen zu erwerben. Die zahlreichen Pflichten, die mit diesem Modell verbunden sind - akademische Lehre, Examensprüfungen, Doktorandenbetreuung, Forschung, Drittmitteleinwerbung, Gremienarbeit, Verwaltung eigener Personal- und Sachmittel sowie vielfältige Serviceleistungen - werden den "Juniorprofessoren" kaum Zeit lassen, für die eigene wissenschaftliche Weiterqualifikation zu arbeiten. Der insofern zu erwartende Kompetenzverlust zukünftiger Hochschullehrer im Bereich der Forschung wird vor allem zu Lasten der Studierenden gehen, die Anspruch auf eine universitäre Lehre haben, die sich ständig aus der Forschung erneuert.
In einer Zeit, in der Forschung zunehmend in Teamarbeit stattfindet, mutet der selbständige "Juniorprofessor" als akademischer Kleinstunternehmer wie ein Anachronismus an. Während die Forschungsarbeit bei der Habilitation in der ständigen Kritik einer erfahrenen Gruppe stattfindet, schwebt die Forschung des "Juniorprofessors" quasi im "luftleeren Raum".
Der Deutsche Hochschulverband setzt den Empfehlungen der Expertenkommission zur Einführung einer "Juniorprofessur" eigene Vorschläge entgegen. Diese Vorschläge verfolgen das Ziel, das viel zu hohe Alter von Wissenschaftlern bei ihrer Erstberufung auf eine Universitätsprofessur von derzeit 41 auf das 35. Lebensjahr zu senken. Darüber hinaus sollen sie gewährleisten, dass die wissenschaftliche Qualifikation der zukünftigen Universitätsprofessoren zum Wohle der Universität, aber auch zum Vorteil von Staat und Gesellschaft auf Dauer gesichert bleibt.
Der Deutsche Hochschulverband fordert für den promovierten wissenschaftlichen Nachwuchs eine Vielfalt der Qualifikationswege. Dazu kann als zusätzliches Angebot auch die "Juniorprofessur" gehören. Welcher Qualifikationsweg wissenschaftsadäquat ist, hat allein das einzelne Fach nach seinen wissenschaftlichen Bedürfnissen zu entscheiden. Dies kann die traditionelle Habilitation sein, dies kann aber auch eine kumulative Habilitation oder ein Qualifikationsweg sein, der gänzlich auf ein förmliches Habilitationsverfahren verzichtet. Die "Juniorprofessur" sollte als ein freibleibendes Angebot an die Fächer für eine zusätzliche Personalkategorie konzipiert werden.
Der Deutsche Hochschulverband fordert, die Qualifikation zum Hochschullehrer auf dem Weg der "Juniorprofessur" anders auszugestalten. Ein berufungsähnliches Verfahren zu Beginn der "Juniorprofessur" ist wünschenswert, aber nicht unverzichtbar. Insbesondere erscheint in dieser frühen Qualifikationsphase das Hausberufungsverbot entbehrlich. Unverzichtbar und unentbehrlich ist aber ein ordnungsgemäßes Berufungsverfahren mit Hausberufungsverbot am Ende der sechsjährigen Qualifikationszeit.
Der Deutsche Hochschulverband fordert die Neugestaltung des Qualifikationsamtes des wissenschaftlichen Assistenten (C1): Dazu gehört zunächst eine Einstellungsaltersgrenze von 29 Jahren für den Antritt einer C 1-Assistentenstelle. Ausnahmen von dieser Einstellungsaltersgrenze dürfen lediglich im Einzelfall - mit besonderer Begründung wie Härte, Kinderbetreuung, Krankheit oder Quereinstieg - zugelassen werden. Darüber hinaus sind die Universitätsverwaltungen und die Universitätsprofessoren gesetzlich zu verpflichten, C 1-Assistentenstellen ausschließlich mit dem Hochschullehrernachwuchs zu besetzen. Die system- und dienstrechtswidrige Habilitation auf wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen, die ausschließlich für die wissenschaftliche Dienstleistung vorgesehen sind, verzögert den Erwerb der weiteren wissenschaftlichen Qualifikation. Zukünftig darf es nicht mehr den Zufälligkeiten des Stellenplans überlassen werden, ob eine C1-Assistentenstelle zur Verfügung gestellt wird. Diese Stellen sind ausschließlich für den Hochschullehrernachwuchs zur Verfügung zu stellen.
Der Deutsche Hochschulverband fordert die Universitäten und Fakultäten auf, Promotions- und Habilitationsverfahren zügig durchzuführen. Der Deutsche Hochschulverband will damit auch eine Diskussion anregen, über Seitenbegrenzungen von Promotions- und Habilitationsarbeiten in den unterschiedlichen Fachdisziplinen nachzudenken. Dem Versuch, Klasse durch Masse zu ersetzen, muss eine deutliche Absage erteilt werden.
Der Deutsche Hochschulverband fordert, die Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses nach der Habilitation deutlich zu verbessern. Dazu gehört zunächst ein ausreichendes Angebot von befristeten Oberassistenten- und Hochschuldozentenstellen. In Fächern mit kleinem Berufungsmarkt (insbesondere in den sog. kleinen Fächern der Philosophischen Fakultät) sind für den besonders qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs auch Hochschuldozentenstellen auf Lebenszeit bereitzustellen.
Der Deutsche Hochschulverband fordert eine Eliteförderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Dazu gehört zunächst die Verdoppelung der Mittel, die der Deutschen Forschungsgemeinschaft für den Leibnizpreis zur Verfügung stehen. Darüber hinaus schlägt der Deutsche Hochschulverband einen bundesweiten Concours für herausragende Nachwuchswissenschaftler vor. In diesem bundesweiten Concours bewerben sich die Besten eines Jahrgangs um zusätzliche Professorenstellen, die durch ein Sonderprogramm gemeinsam von Bund und Ländern finanziert werden und über eine attraktive Ausstattung verfügen.
Der Deutsche Hochschulverband fordert zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses vorgezogene Berufungen. Mit Vollendung des 62. Lebensjahres können Hochschullehrer auf eigenen Antrag von ihren amtlichen Pflichten entbunden werden, um sich zum Beispiel ausschließlich der Forschung zu widmen. Durch vorgezogene Berufungen stehen dem wissenschaftlichen Nachwuchs auf diese Weise schon vor Erreichen der Altersgrenze des Amtsvorgängers attraktive Hochschullehrerstellen zur Verfügung.