Zum Umgang mit dem Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Empfehlungen des Deutschen Hochschulverbandes

I. Ausgangslage

Relevanz und Renommee von Wissenschaft werden maßgeblich von der Einhaltung wissenschaftsimmanenter ethischer Grundsätze bestimmt. Der redliche Umgang mit Methoden, Quellen und Daten sowie dem geistigen Eigentum Dritter bildet weltweit das Fundament für die Berufsausübung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (*). Berichte über Verstöße gegen diese ehernen ethischen Grundsätze finden zu Recht hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit.

Auf der anderen Seite hat bereits der bloße Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens für den Beschuldigten und das Gesamtsystem Wissenschaft verheerende Wirkung. Der Ruf des einzelnen Wissenschaftlers und seiner Universität sowie das Vertrauen in die Unparteilichkeit und Redlichkeit von Wissenschaft stehen auf dem Spiel. Bereits der bloße Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens vermag die Karriere eines Wissenschaftlers zu zerstören.

Für die Nominierung der Standards und die Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis trägt vornehmlich die wissenschaftliche Gemeinschaft Verantwortung. Deshalb muss sie auch Regeln für ein geordnetes Verfahren im Umgang mit Vorwürfen wissenschaftsinadäquaten Verhaltens aufzustellen.  Vor diesem Hintergrund gibt der Deutsche Hochschulverband die folgenden Empfehlungen:

II. Empfehlungen des Deutschen Hochschulverbandes
1)  Jeder Wissenschaftler ist verpflichtet, den Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens zunächst selbst und so umfassend wie möglich zu prüfen. Es ist mit seiner beruflichen Pflicht und Verantwortung weder vereinbar, bei vorliegenden Anhaltspunkten für ein wissenschaftli-ches Fehlverhalten aus Bequemlichkeit oder missverstandener Kollegialität zu schweigen oder wegzuschauen noch angesichts der schwerwiegenden Folgen für den Beschuldigten leichtfertig und vorschnell einen Verdacht zu äußern. Die Kollegialität kann es im Einzelfall gebieten, vor Einschaltung Dritter zunächst den Betroffenen um Aufklärung und Stellungnahme zu bitten. Wissenschaftliches Fehlverhalten ist auch die fahrlässige falsche öffentliche Anschuldigung wissenschaftlichen Fehlverhaltens.

2) Hochschulen und Fakultäten haben umfassende Vorkehrungen für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten zu treffen. Dazu gehört eine von den Hochschulen und Fakultäten zu beschließende Verfahrensordnung, wie mit dem Verdacht und Vorwurf unredlichen wissenschaftlichen Verhaltens umzugehen ist. Dabei soll auf die Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bezug genommen werden.

3) An den Hochschulen sind weisungsunabhängige Kommissionen einzurichten, die bei einem konkreten Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens von Amts wegen tätig werden. Die Kommissionen sollen sich aus besonders angesehenen Wissenschaftlern aller Fächergruppen zusammensetzen und sind mit Untersuchungsbefugnissen auszustatten.

4) Das Verfahren muss für den Beschuldigten transparent und fair sein. Ihm ist Gelegenheit zu geben, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften und umfassend Stellung zu neh-men. Für jeden Beschuldigten gilt wie in jedem anderen Rechtsverfahren auch bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung.

5) Bis zur Entscheidung der Kommission ist strikte Vertraulichkeit zu wahren. Verstöße sind ihrerseits wissenschaftliches Fehlverhalten und disziplinarrechtlich oder arbeitsrechtlich zu ahnden.

6) Das Ergebnis des Verfahrens ist zu veröffentlichen. Die Entscheidung der Kommission ist für alle Beteiligten innerhalb der Hochschule bindend.

III. Fehlverhalten und DHV-Mitgliedschaft
Der Deutsche Hochschulverband bekräftigt, dass Hochschullehrer, die wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens strafrechtlich oder disziplinarrechtlich rechtskräftig verurteilt worden sind, essentiell gegen die ethischen Prinzipien ihrer Berufsgruppe verstoßen haben. Sie können nicht Mitglied des DHV werden oder bleiben.

Potsdam, 12. April 2011


(*) Der besseren Lesbarkeit halber gelten alle maskulinen Personen- und Funktionsbezeichnungen auf unseren Seiten für Frauen und Männer in gleicher Weise. Es gilt: Pronuntiatio sermonis in sexu masculino ad utrumque sexum plerumque porrigitur (Corpus Iuris Civilis Dig. 50,16,195, veröffentlicht 533 n. Chr.), übersetzt: Die Redeform im männlichen Geschlecht erstreckt sich für gewöhnlich auf beide Geschlechter.