Hochschulverband fordert wirksame Maßnahmen zur Wiedergewinnung der Studierfähigkeit
43. Hochschulverbandstag 1993 vom 25. - 27. März 1993
Die Aufnahme eines wissenschaftlichen Studiums erfordert eine allgemeine Studierfähigkeit. Mißerfolgsquoten von 50 % bei den Leistungsnachweisen der ersten Semester, ein immer breiteres Angebot von "Brückenkursen", zunehmende Studienabbrecherquoten und die hohe Zahl von Studienfachwechslern sind Indizien einer fehlenden Studierfähigkeit. Der Deutsche Hochschulverband hat seit dem Öffnungsbeschluß der Ministerpräsidenten immer wieder darauf hingewiesen, daß die allgemeine Studierfähigkeit weiter nachläßt. Er hat darüber hinaus mit der Studie "Studierfähigkeit konkret" für 36 Universitätsstudienfächer die notwendigen Voraussetzungen für die Aufnahme eines Studiums an der Universität formuliert (Hrsg. Finkenstaedt/Heldmann "Studierfähigkeit konkret", Erwartungen und Ansprüche der Universität, Verlag K.H. Bock, Bad Honnef, 1989).
Die im Deutschen Hochschulverband vereinigten 15.000 Hochschullehrer sehen sich in ihrer generellen Sorge bestätigt, daß das Abitur immer häufiger die allgemeine Studierfähigkeit zwar bescheinigt, aber nicht tatsächlich gewährleistet. Dabei wird nicht verkannt, daß zwischen den Bundesländern erhebliche qualitative Unterschiede bestehen. So bewegt sich die jährliche Abiturientenquote eines Altersjahrgangs in den Bundesländern zwischen 19,8% und 30,7%. Der Deutsche Hochschulverband fordert die Kultusministerkonferenz auf, folgende Maßnahmen zur bundesweiten Wiedergewinnung der Studierfähigkeit zu ergreifen: Die Leistungsanforderungen an das Abitur sind in der überwiegenden Mehrzahl der Bundesländer zu erhöhen und unter allen Bundesländern durch die Kultusmi nisterkonferenz im Sinne der qualitativen Vergleichbarkeit abzustimmen. Einheitliche Leistungsstandards innerhalb eines Landes können unter den gegebenen Verhältnissen nur durch die Einführung eines landesweiten Zentralabiturs gewährleistet werden. Die Möglichkeit des Aus- und Abwählens einzelner Fächer ist zugunsten eines Grundkanons von im Abitur geprüften Hauptfächern zu reduzieren und auf die Nebenfächer zu beschränken. Das kostspielige Kurssystem mit dem Nachteil frühzeitiger Spezialisierung hat sich nicht bewährt. Es ist durch den weitgehenden Erhalt des Klassenverbandes bis zum Abitur zu ersetzen. Ein aussagekräftiges Abitur, das die allgemeine Studierfähigkeit tatsächlich vermittelt, macht Zulassungs- und Hochschuleingangsprüfungen überflüssig. Die Universitäten sind angesichts ihrer Überfüllung bis auf weiteres nicht in der Lage, den Hochschulzugang durch generelle Eingangsprüfungen verwaltungsgerichtsfest zu regulieren. Umgekehrt werden über die allgemeine Hochschulreife hinausgehende Leistungsnachweise umso eher erforderlich, je mehr das Abitur als Nachweis der Studierfähigkeit untauglich wird.
Solange diese Vorschläge zur Stärkung des Abiturs nicht durchgesetzt werden, tritt der Deutsche Hochschulverband dafür ein, eine durch Landesgesetz festzulegende engere Verknüpfung von schulischen Leistungen und gewähltem Studienfach einzuführen. Angesichts der von Schule zu Schule und von Bundesland zu Bundesland differierenden Leistungsanforderungen an die allgemeine Hochschulreife fordert der Deutsche Hochschulverband die Einführung fächerspezifischer Leistungsnachweise, die in der Schule zu erbringen sind. Es erscheint unerträglich, daß die schulischen Fachleistungen und insbesondere das im Kurssystem der Oberstufe mögliche Abwahlverhalten bei der Aufnahme eines Studiums an der Universität völlig unberücksichtigt bleiben. Zur Stärkung der allgemeinen Studierfähigkeit ist es vielmehr sinnvoll, von den Studienbewerbern den Nachweis zu fordern, daß sie erfolgreich an Lehrveranstaltungen in der Schule (Kurse) teilgenommen haben, die für das gewählte Studienfach grundlegend sind. Die fachlichen Anforderungen sind im Hinblick auf die Eignung für die verschiedenen Studiengänge unterschiedlich. Es gibt eine Reihe von Schulfächern, deren Bedeutung für viele Studiengänge gleich groß ist. Insoweit würden die Schüler durch die Neuregelung zu keiner verfrühten Festlegung auf ein bestimmtes Studienfach gezwungen. Andererseits gibt es aber auch Schulfächer, deren Beherrschung als Vorbereitung für bestimmte Studiengänge von den Universitäten mit Recht erwartet werden darf. Um den berechtigten Anspruch der Hochschulen auf größere Autonomie zu unterstützen, fordert der Deutsche Hochschulverband, daß die fachlichen Anforderungen an die Schulbildung für ein Studienfach durch die Universitäten selbst zu formulieren und festzulegen sind. Auf diese Weise übernehmen die Universitäten ein erhöhtes Maß an Verantwortung für den Studienerfolg. Darüber hinaus werden die Universitäten in die Lage versetzt, in verstärktem Umfang studiengangsspezifische Profile zu entwickeln. Der Deutsche Hochschulverband schlägt eine Änderung des Hochschulrechts durch folgende Gesetzesformulierung vor: "Die Qualifikation für das Studium wird durch ein Zeugnis der Hoch- schulreife nachgewiesen, das in der Regel durch den erfolgreichen Abschluß einer auf das Studium vorbereitenden Schulbildung oder einer als gleichwertig anerkannten Vorbildung erworben wird. Die Universitäten sind berechtigt, als zusätzlichen Qualifikationsnachweis die erfolgreiche Teilnahme an solchen schulischen Lehrveranstaltungen vorauszusetzen, die für das gewählte Studienfach von grundlegender und besonderer Bedeutung sind."